Schneeregen – und ich denk an dich
Als ich dich zum ersten Mal sah, beeindruckte mich deine Zielstrebigkeit: schnellen, festen Schrittes hast du mich gestreift, um an der nächsten Biegung nach links abzudrehen. Wie eine Wanderin sahst du nicht aus, auch wenn ich es zunächst vermutete.
Dein Weg führte zum Parkplatz – so sah es zumindest aus - und daran vorbei. Plötzlich an der Wand zum Rathaus bliebst du stehen, dein Rücken beugte sich nach vorn. Behutsam
hieltest du deine Hände vor dir: du wolltest trinken, vom Wasserhahn an der Rathauswand.
Das Wasser lief und ich ging weiter.
Du warst keine Touristin. Du kanntest dich hier aus und wusstest um die elementarsten Dinge. Du warst hier zu Haus!
Beim zweiten Mal war dein Gang verlangsamt. Du hattest einen Einkaufswagen dabei.
Ihr wart zu zweit, deine Begleitung mit einem Bein auf Krücken unterwegs, aus Richtung der Sumpfwiesen kommend. Wieder ging es den steilen Anstieg am Sandseeweg hinauf. Noch war es warm, der Herbst zeigte sich gnädig, der Boden war trocken und die Nachtluft nicht zu kalt.
Im Einkaufswagen war kein Einkauf, es waren darin Müllsäcke, Plastiktüten und ein Schlafsack.
Das war kein frühherbstlicher Abendspaziergang mit Begleitung. Es war dein Hab und Gut, das du im Einkaufswagen vor dir herschobst. Du wohntest hier. Du warst hier zu Hause.
Ein drittes Mal noch kam ich hierher, doch ich traf dich nicht mehr. Wieder war ich auf dem Sandseeweg, beim steilen Anstieg. Mein Weg führte mich ans alte Pumphaus vom Wasserwerk. Hier oben, im kleinen Zimmer auf der Matratze musst du deine Nächte verbracht haben, bevor wir die alte Pumpe aus ihrem Dornröschenschlaf gerissen haben.
Das Gebäude ist verriegelt und der Schneeregen fällt sanft auf die Erde. Wo bist du jetzt?